Der Spiegel Geschichte hat ein Sonderheft über die russischen Zaren herausgebracht (Spiegel Geschichte 1,2012). Autoren sind laut „Hausmitteilung“ „alle SPIEGEL-Korrespondenten aus dem letzten Vierteljahrhundert“ (S. 3).
Neben anderen gibt es Artikel über einige russische Zaren und Zarinnen, Ivan IV., Peter I., Katharina II., Alexander I., Nikolaj I., Alexander II. und schließlich Nikolaj II. Schließlich wird – wie originell – Putin als Zar und die Macht des Kreml‘ als autoritär, bzw. autokratisch (S. 19, bzw. 140) dargestellt. Dies liest sich als eine Folge der Gründung des Moskauer Zartums durch Ivan IV., den „schrecklichen“.
Über Ivan IV., den einzigen Zaren vor Peter I., der in einem Porträt gewürdigt wird, erfahren wir so einiges, und nicht besonders viel Neues oder Originelles. Der Autor des S. 14-21 abgedruckten Textes beruft sich auf zwei Quellen, zum einen Ruslan Skrynnikovs Biografie Ivans, zum anderen einen Moskauer Historiker mit Namen Andrej Firsov, der nicht nur nichts zur mittelalterlichen Geschichte publiziert hat, sondern dessen Einschätzung der Opričnina als „außerordentliche Kommission“ (S. 20) zwar originell aber vom Stand der Forschung her nicht haltbar ist.
Das Buch Skrynnikovs ist nicht nur mir bekannt. Es handelt sich um die 1992 in München erschienene deutsche Übersetzung der Ivan-Biografie, die Skrynnikov 1991 in Leningrad veröffentlicht hat. Ruslan Skrynnikov, der inzwischen verstorben ist, ist einer der bedeutendsten russischen und sowjetischen Forscher zur frühen Neuzeit. Doch seine Forschungen sind inzwischen auch 20 Jahre alt, und inzwischen gibt es nicht nur bessere Biografien (z.B. Isabelle de Madariagas oder die Biografie von Andrej Pavlov und Maureen Perrie, zugegebenermaßen auf Englisch). Es sind auch viele Einzelforschungen zu Ivan IV. Groznyj erschienen, die Skrynnikovs Buch veraltet erscheinen lassen.
Anstatt sich um einen ordentlichen Forschungsstand zu bemühen, wird hier also altes Material in für einen nicht mit der Zeit vertrauten Leser mit Sicherheit verwirrend unchronologischer Reihenfolge so dargelegt, dass man meint, der Kampf des Herrschers gegen seine Untergebenen habe sich seit dem 16. Jahrhundert bis heute fortgesetzt: „Luschkow und Borodin […] pflegten im Kampf gegen Bojaren von heute auch die Tradition Iwan Grosnys und seiner Opritschniki.“ (S. 21) Und dies, obwohl die Klassenkampf-These von Herrscher gegen Adel von den Quellen nun wirklich nicht gedeckt wird.
Neues erfahren wir also eher nicht, die bemühten Referenzen sind entweder veraltet oder keine Spezialisten für die Epoche. Und so wundert es dann nicht, dass wir nebenbei (S. 19) wieder einmal erklärt bekommen, dass Ivan nach der „Affäre Kurbskij“ – die Zweifel Edward Keenans an der Echtheit des Briefwechsels zwischen Ivan und Kurbskij sind dem Autor natürlich unbekannt – endgültig zu Ivan Groznyj, dem „Gestrengen“, im Westen „dem Schrecklichen“ wurde. Und das bringt unser Russlandbild dann wieder zurück in die Zeit des Kalten Krieges. Erschreckend.
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