Was man sich immer wieder fragt, wenn man russische Ikonen sieht, ist, ob die Menschen die Bilder erkannt haben. Einige Ikonensujets sind sehr speziell. Sie unterscheiden sich sehr von der üblichen Frontbild-Ikone, auf der ein Heiliger in halber oder ganzer Ansicht zu sehen ist. Dieser Heilige hat auch seinen Namen neben sich geschrieben, so dass man ihn erkennen kann.

Wesentlich spezieller sind da schon die Novgoroder Ikonen, die der Weisheit gewidmet sind, wie z.B. das Beitragsbild hier. Generationen von Wissenschaftlern haben diese Ikone interpretiert und immer diffizilere Dinge herausgefunden. Die Ikone sagt viel über die Auffassung von Staat in der alten Rus‘ aus.

Doch woher kann man wissen, dass die Ikone auch so, mit all ihren Einzelheiten, verstanden wurde? Agnes Kriza hat auf der diesjährigen ASEEES-Tagung hierzu vorgetragen. Sie hat mehrere Texte gefunden, die Beschreibungen der Ikone sind. Wie sie anhand der Schwarz- und Rotfärbung im Originalmanuskript herausgefunden hat, handelt es sich um Fragen und Antworten.

Die Frage besteht jeweils aus einem kurzen Wort, dessen Anfangsbuchstabe mit Rot geschrieben ist. Die Antwort ist länger, hat aber auch den Anfangsbuchstaben Rot geschrieben. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, ins Manuskript zu schauen. Und wie wichtig unterschiedliche Schreibweise sein kann.

In sechs Manuskripten finden sich Beschreibungen der Novgoroder Sophien-Ikone. Sie zeigen alle kleinen Details auf, erklären sie und führen sie auf Schriftzitate zurück. Die Manuskripte beinhalten also eine detaillierte Bildbeschreibung, wenn man sie zu lesen weiß. Und die Wissenschaftler können sich beruhigt sagen, dass die Moskoviter auch im Mittelalter schon wussten, was sie nun mühsam heraus finden.