Was sich langweilig anhört, gewinnt, wenn man näher hinschaut, an Aktualität. Am Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Moskovien einen Eucharistiestreit. Er fand zwar unter den höheren Geistlichen statt, hatte aber direkte Auswirkungen auf fast alle Gläubigen.
Im Wesentlichen ging es bei dem Streit darum, wann die Transsubstantiation, die Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi im Laufe des Gottesdienstes statt fand: wenn der Priester die Einsetzungsworte „Dies ist mein Leib… etc.“ sprach? Oder wenn er den Heiligen Geist auf Brot und Wein herabflehte?
Silvestr Medvedev, Theologe und Hofpoet, vertrat die Auffassung, dass die Verwandlung bereits beim Aussprechen der Einsetzungworte statt fand. Hier kam den Gläubigen eine verstärkte Position zu, weil sie als Zeugen der Worte Teil am Transsubstantiationsgeschehen hatten.
Patriarch Ioakim vertrat die Auffassung, dass die Verwandlung erst statt fand, wenn der Priester den Heiligen Geist herabflehte. Dies stärkte die Position des Priesters gegenüber den Gläubigen im Transsubstantiationsgeschehen. Denn ohne seine Interzession fand es nicht statt.
Nun muss man wissen, dass Patriarch Ioakim, während dieser Streit aufkam, gerade eine Neustruktuierung der Kirchenhierarchie vornahm, die wesentlich striktiere hierarchische Einordnungen und eine wesentlich stärkere Position der Priester vorsah. Die zweite Position entsprang also seiner aktuellen Kirchenpolitik.
Die beiden Positionen sind nicht so alt, wie sie scheinen. Silvestr Medvedev vertrat eine Position, die den Gläubigen mehr Anteil an der Eucharistie gab, Patriarch Ioakim eine eher kirchenhierarchische. Man fühlt sich versetzt in das frühe 20. Jahrhundert, als Dietrich Bonhoeffer forderte, nicht so sehr das Rituelle in den Mittelpunkt kirchlicher Arbeit zu stellen, sondern den Menschen und die Handlung an und mit ihm.
Für Bonhoeffer war dies der Unterschied zwischen Religion, die eher das Institutionelle, Hierarchische, Rituelle und Liturgische beschreibt, und Christentum, in dem es darum geht, in der Nachfolge Jesu auf die Menschen zuzugehen. Diese Diskrepanz gibt es auch heute noch in christlichen Kirchengemeinden, die stark auf die Priester oder Pfarrer ausgerichtet sind.
Wenn man so will, vertrat Patriarch Ioakim im Eucharistiestreit die Position der Religion, während Silvestr Medvedev die des Christentums vertrat. Wer siegte, ist nicht so klar. Wir stellen uns natürlich auf die Seite des Christentums.
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