Manchmal kommt man erst durch wirre Vergleiche auf neue Ideen. Immer wieder schön ist der Einblick in die Judaistik und die jüdischen Religionsstudien. Hier werden Fragen gestellt, die man sie nie stellen würde, und Antworten gegeben, die bedenkenswert sind. So habe ich neulich mehrere Vorträge gehört, in dem es um das Schreiben der Thora ging. Dieses hat von Hand zu erfolgen, die Schreiber haben dies aus lauterem Herzen zu tun, und sie müssen mit dem Zweck, für den die Thora geschrieben wird, einverstanden sein. Außerdem sollten sie nicht taub sein, damit sie das Wort Gottes auch hören können. Dieser Zusammenhang zwischen geschriebenem und gehörtem Wort ist bemerkenswert und eröffnet ganz neue Einblicke in die kulturelle Sphäre.

In der orthodoxen Kirche gibt es viele Ikonen, die Liedern gewidmet sind. Wie im Beispiel der Ikone der Gottesmutter mit Akathistos sind die Hymnenschreiber häufig mit abgebildet. Damit man sie als Autoren erkennt, halten sie Schriftrollen mit den Anfängen der Hymnen in den Händen.

So weit, so bekannt. Aber welche Form von Intermedialität ist hier eigentlich im Spiel? Wenn die Ikone auf eine schriftliche Beschreibung im Nikodemus-Evangelium zurück geht, so geht es hier um Text und Bild. Dies ist eine bereits gut erforschte Zusammenführung. Auch die Texte des Akathistos in den Händen der Kirchenväter-Autoren kann man im Zusammenhang Bild und Text lesen und analysieren.

So weit, so schön. Aber was ist mit der Tatsache, dass der Akathistos ein Kirchenhymnus ist, der während der Liturgie gesungen wurde? Wie klingt der Akathistos eigentlich, wenn er gesungen wird? Und bildet er nicht damit auch den Gesang ab, der das himmlische Urbild umgibt?

Wie ist der Zusammenhang zwischen Bild und Hymnus in diesem Fall? Welche Lieder evoziert die Ikone in den Menschen, die das Bild sehen und die Hymnen vom Gottesdienstbesuch her kennen? Haben sie Ohrwürmer von Kirchenhymnen? So wie wir heutzutage Ohrwürmer von Weihnachtsliedern haben, mit denen wir zur Zeit schon gerne in Geschäften traktiert werden? Was summt der orthodoxe Christ zu Weihnachten? Oder wenn er das Bild der Gottesmutter sieht?

Oder anders ausgedrückt: wenn die Schrift Laute abbildet, wie klingt eigentlich eine Ikone? Hier eröffnen sich ganz neue Dimensionen der Erforschung des Bildes.


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