Neulich habe ich einen Vortrag zur Geschichtspolitik der russisch-orthodoxen Kirche gehört. Nichts Neues wurde gesagt. Die Russisch-Orthodoxe Kirche fährt seit etwa 2000 einen geschichtspolitischen Kurs, der den immer totalitärer werdenden Staat unterstützt.
Diese Art der Unterstützung hat es auch im 19. Jahrhundert schon gegeben. Olga Maiorova weist in ihrer Studie zum russischen Imperium darauf hin, dass in einem Staat, in dem die Meinungsfreiheit eingeschränkt und demokratische Teilhabe kaum vorhanden ist, diese Teilhabe über die Unterstützung der imperialen Politik sozusagen simuliert werden kann.
Nicht nur die Kirche, sondern auch die Staatsbürger und andere gesellschaftliche Formationen nehmen an der gesellschaftlichen Öffentlichkeit dadurch teil, dass sie die aktive imperiale Ausdehnung unterstützen. Hierzu gehört dann eine Schulpolitik, die die Größe des Imperiums betont und die ein bestimmtes Geschichtsbild vermittelt.
Die russisch-orthodoxe Kirche hat bereits im Jahr 2000 eine Medienstrategie entwickelt, die den Staat durch geschichtspolitische Aktionen wie Ausstellungen unterstützt. Gerade junge Menschen wird in diesen Ausstellungen beigebracht, dass es in der Politik nicht um Soziales, sondern politische Einflussnahme und Größe geht.
Zu diesem Zweck wurde auch das hierarchische System der Kirche unterhöhlt, indem immer mehr gerade junge Bischöfe ernannt wurden, die außerhalb der etablierten Diözesen stehen. Gleichzeitig wurde – wie auch im Präsidialsystem – eine Parallelstruktur von Institutionen, die direkt dem Patriarchen unterstehen, geschaffen, so dass dieser von oben nach unten durchregulieren kann. Eigenständig agierende Prälaten versetzt man irgendwo an die Peripherie. Diese Machtregulierung ist nicht unbekannt und nicht auf diese Kirche beschränkt.
Seit 2010 arbeitet die russisch-orthodoxe Kirche nicht mehr nur mit ihren eigenen Medienkanälen zusammen, sondern auch mit den Massenmedien. Und seit 2022, genauer gesagt seit dem Februar, ist die Kirche dermaßen gleichgeschaltet, dass sie bedingungslos das herrschende Regime unterstützt.
Woher diese Geschichtspolitik kommt? Hier ist nicht nur die Imitation früherer vermeintlicher Größe im 19. Jahrhundert ein Grund. Auch die Erfahrung aus dem Totalitarismus in der Sowjetunion spielt eine Rolle. Zu dieser Zeit war die Kirche in der Opposition und musste mit dem Staat zusammen arbeiten, um nicht vollständig zu verschwinden.
Heutzutage knüpft man an diese Erfahrung an, indem man bedingungslos mit dem Staat zusammenarbeitet und ihn unterstützt, um nicht als Institution zu verschwinden.
Man fragt sich natürlich schon, ob dies die einzige Lehre war, die man aus der Opposition in der Sowjetunion lernen konnte. Und ob es für eine Kirche auch noch einen anderen Weg geben könnte? Zum Beispiel den des Evangeliums? Und ob man sie nicht auch dadurch retten könnte.
Diese Frage wird wohl irgendwann die Geschichte beantworten.