Traditionen machen es manchmal schwer, herauszufinden, was wirklich vor sich geht.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Russland eine Gruppe von – ja, was? Je nachdem, wer sie beschrieb, beschrieb eine Gruppe von besonders frommen Orthodoxen oder Häretikern.
Geschehen war folgendes: eine Gruppe von Altgläubigen traf sich in Sibirien des Nachts. Während sie tagsüber ihrer Arbeit nachgingen, sangen die Menschen in der Nacht das Jesus-Gebet, bis sie in Trance fielen und anfingen zu tanzen und in Zungen zu reden.
Jahrelang wurde diese Gruppe von den Behörden verfolgt mit der Begründung, sie seien der Häresie der Quäker verfallen. Ungeachtet dessen, dass die Quäker in Großbritannien der Sodomie mit Tieren, v.a. mit Pferden, verdächtigt wurden und man dies den Russen nicht ankreiden konnte, musste man ihren unorthodoxen Praktiken einen Namen geben. Warum also nicht Quäker.
Nach einem Wechsel des Gouverneurs wurden die Altgläubigen neu „gelabelt“, v.a. da einige von ihnen sogar zur offiziellen Orthodoxie übergetreten waren. Plötzlich waren sie nur noch über alle Maßen fromm. Hier zeigt sich, dass Häresie nur das ist, was vorher schon als solche galt. Tritt ein neues Phänomen auf, wird es mit alten Namen benannt. Kommt aber eine neue Politik in Person eines neuen Gouverneurs, wird aus Häresie genau so schnell Orthodoxie. Unabhängig davon, ob Pferde geschändet wurden oder nicht.
Als Nachtrag sei gesagt, dass es sich bei den Häretiker um die sogenannten „Chlysty“, eine Gruppe von mystisch geprägten und eher harmlosen Altgläubigen handelt.
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