Beginn des 17. Jahrhunderts in der Moskoviter Rus‘. Ein regenfreier Tag. Zwei Bojaren gehen zusammen auf die Jagd und unterhalten sich. Worüber? Natürlich darüber, ob man Gott erkennen kann, oder nicht.
Was wie eine komische Begebenheit anmutet, führte zu einem heftigen Streit. In der Folge waren die beiden nicht mehr befreundet und einer schrieb einen langen Brief, warum der andere, nun ja, ein wenig beschränkt ist. Worum ging es?
Bojar 1 war der Meinung: im Alten Testament steht, dass man Gott treffen kann. Also kann man ihn sehen. Moses hat ihn auf dem Berg Sinai getroffen, als er die zehn Gebote bekam. Die Bibelstelle geht folgendermaßen:
5. Mose 5
2Der Herr, unser Gott, hat einen Bund mit uns geschlossen am Horeb.
3Nicht mit unsern Vätern hat der Herr diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die wir heute hier sind und alle leben.
4Er hat von Angesicht zu Angesicht mit euch
aus dem Feuer auf dem Berge geredet. 5Ich stand zu derselben Zeit zwischen dem Herrn und euch, um euch des Herrn Wort zu verkündigen; denn ihr fürchtetet euch vor dem Feuer und gingt nicht auf den Berg.
Vgl. die Parallelstelle in Exodus, 2. Mose 20:
Und alles Volk sah den Donner und die Blitze und den Ton der Posaune und den Berg rauchen. Als sie aber solches sahen, flohen sie und blieben in der Ferne stehen 19und sprachen zu Mose: Rede du mit uns, wir wollen hören; aber lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben. 20Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, euch zu
versuchen, damit ihr’s vor Augen habt, wie er zu fürchten sei, und ihr nicht sündigt. 21So stand das Volk von ferne, aber Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war.
Nun, sagt Bojar 1, ist es doch klar, dass Mose als Mittler Gott gesehen hat. Also kann man Gott sehen.
Sagt Bojar 2: bist du dumm? Man kann die Bibel doch nicht wörtlich nehmen. Es war ein Engel. Es ist immer ein Engel. Denn Gott kann man nicht sehen.
Es haben sich schon Menschen aus geringerem Anlass zerstritten und nie mehr miteinander geredet. Aber hier zeigt sich, dass man in seiner Freizeit, auf einem Jagdausflug, trotzdem tiefschürfende Gespräche führen kann. Auch wenn sie damit enden, dass man danach nie mehr miteinander redet.