Wer über Geschichte schreibt, kann, aber muss sich nicht, Gedanken darüber machen, wie er Geschichte darstellt. Häufig schreibt er einfach nach dem chronologischen Prinzip, in der Hoffnung, dass Geschichte irgendwie teleologisch verläuft.

Und ebenso häufig werden alte Modelle der Geschichtsschreibung übernommen. Sei es, dass sie griffig sind, sei es, dass sie so gut im Gedächtnis geblieben sind.

Im Falle der Geschichtschreibung über Russland im Mittelalter scheint es sowohl Griffigkeit als auch das Im-Gedächtnis-Bleiben zu geben. Zumindest werden einige metaphorisch schön umschriebene Begriffe einfach übernommen und weiterverwendet. Hierzu gehören:

Die Abschüttelung des Mongolenjochs

Wenn es doch so einfach gewesen wäre. Stattdessen ging es nicht darum, etwas abzuschütteln. Vielmehr haben die Russen über Jahrhunderte immer wieder die Höhe ihrer Tributzahlungen an die Mongolen neu verhandelt. Und immer weniger gezahlt. Als sie mit den Zahlungen dann einfach aufhörten und die Mongolen sich nicht mehr dagegen wehrten, war das „Joch“ „abgeschüttelt“.

Die feudale Zersplitterung

Hierzu müsste man erst einmal definieren, was unter „feudal“ verstanden wird. Das ist nicht einmal für die westeuropäischen Herrschaften so recht klar. Und je länger man sich mit Feudalität beschäftigt, desto schwieriger wird der Begriff zu fassen. Auch zersplittert war die Kiever Rus‘ eigentlich nicht, weil neben gemeinsamer Religion und Sprache klar war, dass man eine gemeinsame Geschichte hatte. Analog hierzu wird dann gern der Ausdruck der

Sammlung der russischen Lande

gebraucht. Hierfür steht die Vereinigung der „zersplitterten feudalen Herrschaften“ unter der Vorherrschaft des Moskauer Großfürsten im 15. Jahrhundert. Allerdings hier nicht unter feudalem Vorzeichen, sondern einfach nur so.

Wenn man sich diese metaphorische Geschichtsschreibung ansieht, fragt man sich schon, wie man neue Methoden und Fragestellungen anwenden soll, wenn man ständig die alten, metaphorischen Hüte mit berücksichtigen muss.