Wie bereits berichtet, gibt es Mythen der Osteuropageschichte, die sich länger halten und auch nicht von Wissenschaftlern aus der Welt geschafft werden können. Dies liegt vielleicht auch daran, dass der Forschungsstand in unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich ist. Und dass der Forschungsstand in den USA zwar der fortschrittlichste ist, dass dieser aber nicht immer beachtet wird.

So geht es mit Moskau als dem dritten Rom. Diese Theorie besagt, dass sich Moskau im 16. Jahrhundert als drittes und somit endgültiges Rom der Apokalypse stilisierte. Amerikanische Wissenschaftler haben diese Theorie in den letzten 20 Jahren widerlegt. Sie beruht auf drei Briefen eines Mönches aus Pskov, Filofej, die vor dem 19. Jahrhundert nicht rezipiert wurden. Erst 1869 übernahm der russische Gelehrte Ikonnikov die These vom dritten Rom, und von da an war ihr Siegeszug vorprogrammiert.

Dieser Forschungsstand zum dritten Rom, dass es nämlich erst im 19. Jahrhundert „erfunden“ wurde, ist eigentlich Konsens. So fiel die Reaktion des Publikums der letzten ASEEES-Tagung sehr rigide aus, als ein junger Wissenschaftler meinte, „Moskau als das dritte Rom“ auf einer polnischen Landkarte entdeckt zu haben.

Das Publikum schluckte zunächst. Die Diskutantin wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass der Forschungsstand zum „dritten Rom“ etwas anderes besagte. Der junge Wissenschaftler kannte diesen Forschungsstand offensichtlich nicht und erklärte seine These noch einmal. Ein amerikanischer Wissenschaftler im Publikum erklärte daraufhin, den jungen Wissenschaftler nach der Diskussion über den Forschungsstand zum „dritten Rom“ aufklären zu wollen.

Ich verließ die Tagung, als die beiden Wissenschaftler, der amerikanische und der junge, sich zu ihrem Schlagabtausch bereit machten. Ich hoffe, dass es dem jungen Wissenschaftler gut geht und dass er seine Begegnung mit amerikanischer Forschung gut überstanden hat.