Auf Konferenzen hat man häufig komische Erlebnisse. Das Folgende habe ich jedoch noch nie so erlebt.

Die russische Akademie der Wissenschaften und das russische Staatliche Historische Museum haben eine Konferenz und im Zusammenhang mit der Konferenz einen Besuch des Novospasskij-Klosters südlich des Kreml‘ in Moskau organisiert.

Das Novospasskij-Kloster ist eines der ältesten Klöster Moskaus. Es wurde im 14. Jahrhundert auf dem Gelände des Kreml‘ gegründet und, als man Platz für neue Bauten brauchte,  an den südöstlichen Rand Moskaus ausgegliedert. Hier entstand im 16. Jahrhundert das neue Novospasskij-Kloster, dessen Igumen im 17. Jahrhundert kurzzeitig der spätere Patriarch Nikon war.

Im 17. Jahrhundert richtete man im Keller der Kirche des Novospasskij-Klosters außerdem eine der raren Grabstätten oder Grabkapellen von Bojarenfamilien ein. Im Novospasskij-Kloster wurden seit dem 16. Jahrhundert Mitglieder der Romanov-Bojarenfamilie, aus der die Zarendynastie im 17. Jahrhundert hervor ging, beigesetzt. Die Gräber sind sehr schlicht, doch die Romanovs waren sich ihrer Herkunft aus diesem Bojarengeschlecht bewusst. So wurden zwei Mitglieder der Zarenfamilie im 19., bzw. beginnenden 20. Jahrhundert  dort auch in sehr schlichten Gräbern beigesetzt, der durch ein Attentat gestorbene Großfürst Sergej Michajlovič und seine Ehefrau, die Nonne Irina.

Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zunächst im Refektorium der Mönche mit Fastenspeise (Fisch) beköstigt. Danach wurden sie in die Kirche geführt und angespornt mit den Worten, der Igumen warte schon.

Der Igumen wartete tatsächlich schon, hatte einen Stab wie Patriarch Nikon ihn hatte, einen Chor und ein Weihrauchfass und begann mit einer 15-minütigen Andacht, in deren Verlauf eine Heiligenlitanei mit allen heiliggesprochenen Familienmitgliedern der Romanovs gesungen und viel Weihrauch benutzt wurde.

Am Ende der Andacht entschuldigte sich der Igumen, dass der Patriarch persönlich nicht da war; er war im September im Kloster gewesen, um einen besonderen Feiertag zu feiern. Außerdem wünschte er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen guten Aufenthalt im Kloster. Schließlich stand der Igumen für ein Gespräch zur Verfügung.

Die gesamte Andacht wurde von einem der drei Leibwächter des Igumen gefilmt. Die Leibwächter hatten schwarze Anzüge an und Namensschildchen am Revers. Anschließend wurde der Igumen vor laufender Kamera interviewt, sowie ausgewählte Konferenzteilnehmer. Erst danach begann die Exkursion durch das Kloster.

Für Wissenschaftlerinnen ist ein solcher Empfang sehr kurios, und ich habe so etwas bisher noch nicht erlebt. Auch die russischen Kollegen waren eher aus wissenschaftlichem als aus religiösem Interesse an den Gräbern der Bojaren gekommen. Die Frage ist, inwieweit die Filmaufnahmen genutzt wurden, um das Interesse der Wissenschaftler zu dokumentieren oder die heiligen Zaren zu propagieren. Das habe ich jedoch nicht herausfinden können.