Das Schicksal des dänischen Prinzen, der 1602 die Tochter des moskovitischen Zaren Boris Godunov, Ksenija, heiraten sollte, ist gut erforscht. Doch was ist mit Ksenija? Über sie gibt es nur rudimentäre biographische Informationen, die ich hier anhand von Interneteinträgen kurz zusammenfassen möchte. Eine Warnung vorweg: ihr Leben war nicht schön.

Ksenija wurde 1582 geboren, als ihr Vater noch Bojar und Ratgeber des Zaren Ivans IV. war. Als ältere Tochter war ihr Lebensweg zwar vorgezeichnet doch noch relativ frei von großen Verpflichtungen. Ihr wäre die Wahl zwischen einem sicheren Leben als Nonne im Kloster oder einem politischen Leben als Ehefrau eines Bojaren geblieben.

Als solche hätte sie wahrscheinlich in die höheren Ebenen der Bojarenfamilien eingeheiratet und hier bestimmte Pflichten wahrgenommen. Zu diesen gehörte mit Sicherheit die Verwaltung der Güter und die Versorgung des Familienhofes in Moskau aus den umliegenden Gütern. Sie hätte sich wahrscheinlich auch um die Kleidung der Familie gekümmert, Einkäufe von hoher Qualität selbst erledigt und sich mit ihrem Ehemann über repräsentative Pflichten ausgetauscht. Sie hätte Ämter bei der Zarenfamilie, als Betreuerin für die Kinder oder die Zarin innegehabt.

Vielleicht hätte sie Kinder bekommen und sich um ihre Erziehung und Bildung gekümmert.

Auch die sozialen Beziehungen zwischen den Bojarenfamilien hätte sie gepflegt, durch Besuche, Geschenke, religiöse Aufgaben wie das Patenamt, und schließlich die Sorge für die Verstorbenen, für die man in Klöstern Gedenkgottesdienste und -mäler stiftete. All dies waren Aufgaben von Bojarenfrauen, für die man als Adelige in Moskovien entsprechend gebildet aber auch bewegungsfrei war. Klingt nach einem ausgefüllten und durchaus selbstbestimmten Leben.

Diese Aussichten Ksenijas änderten sich, als ihr Vater 1598 Zar wurde. Plötzlich war sie Prinzessin, eine Heirat mit einem niedrig gestellteren Bojaren in weiter Ferne. Und sie wurde zur Spielfigur für die Außenpolitik des Zaren und seiner Bojaren. Mehrere Heiratspläne wurden für sie geschmiedet, die immer politische Gründe hatten. So auch das Projekt mit der Heirat mit dem dänischen Prinzen Johann, das Gebiete im heutigen Finnland befrieden sollte.

Zwar hätte das Projekt nicht beinhaltet, dass sie Moskovien verließ und ihre Religion aufgab, doch gefragt hat man Ksenija wahrscheinlich auch nicht.

Das Heiratsprojekt mit Prinz Johann scheiterte an seinem plötzlichen Tod 1602. Auch die folgenden Projekte scheiterten. Man kann sich vorstellen, wie Ksenija im Kreml saß und wartete, wie die Männer in der Regierung über ihr Schicksal entscheiden würden. Ohne die Wahlmöglichkeiten, die ihr als Bojarentochter noch möglich waren.

Es kam schlimmer. 1605 starb Zar Boris. Sein Sohn Fedor wurde Zar. Gleichzeitig griff der falsche Dmitrij Moskau an, ließ Zar Fedor und seine Mutter töten – und nahm Ksenija zur Konkubine. Nun war sie nicht nur Waise, sondern über mehrere Monate verstärkter sexueller Gewalt ausgesetzt.

Dmitrij benutzte Ksenija, bis seine erwählte Braut Marina Mniszech in Moskau eintraf. Dann ließ zwang er sie, Nonne zu werden. Gerüchte besagen, dass Ksenija zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war und im Kloster einen Sohn gebar. 1606 nahm sie an der Umbettung der Gebeine ihres Vaters in die Familiengrablege im Troica-Kloster teil; die Kleider, die sie trug, sind dort heute zu besichtigen.

1610 wurde ihr Kloster von Kosaken angegriffen und Ksenija – unter dem Nonnennamen Olga – mit anderen Nonnen vergewaltigt. Sie lebte noch bis 1622 und wurde unter dem Namen Olga Godunova in der Familiengrablege beigesetzt.

Plötzlich Prinzessin zu sein hat Ksenija nicht nur ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt, sondern lieferte sie patriarchaler Willkür und sexualisierter Gewalt aus. Hoffen wir, dass sie zumindest in der Zeit der Restauration nach 1613 als Nonne halbwegs selbstbestimmt leben konnte.