Schon seit einiger Zeit verkneife ich mir Kommentare zum Thema Vladimir Putin, da ich hier einen Mittelalter- und Frühe-Neuzeit-Blog schreibe, keinen zeitgeschichtlichen.
Doch schon seit genau so langer Zeit ärgere ich mich über die Vergleiche Putins mit den russischen Zaren. Nachdem jedoch nun der SPIEGEL-Geschichte-Artikel über Ivan IV. auf Spiegel-Online erschienen ist und Leser eifrige zeitgeschichtliche und vergleichende Kommentare dazu abgeben, möchte ich doch gern einiges klarstellen.
Der Vergleich Putins mit den russischen Zaren ist nämlich grundsätzlich falsch und tut der russischen Verfassung unrecht. Er impliziert nämlich, dass Putin – wie angeblich die Zaren auch – autokratisch herrscht und keine Rücksicht auf Gesetze und Verfassung zu nehmen hat. Und wenn wir einmal davon absehen, dass die russischen Zaren in Mittelalter und früher Neuzeit mitnichten autokratisch, sondern im Konsens mit dem Adel geherrscht haben, so hat man auch für die Neuzeit Schwierigkeiten, den Begriff „autokratisch“ mit der Regierung Russlands durch die Zaren in Einklang zu bringen.
Auch wenn Putin mit seiner dritten Amtsperiode den Sinn der Verfassung umgeht – eigentlich schon mit seiner Regierung als Ministerpräsident umgangen hat -, gibt es im zeitgenössischen Russland doch gesetzgebende Organe und Wahlen zu den staatlichen Organen. Und auch wenn der Präsident häufig per Ukas an der Duma vorbeiregiert, muss er sich dem Buchstaben der Gesetze – und der Verfassung – beugen.
Was nun Ivan IV. angeht, denn mit diesem wird Putin nun häufig verglichen, so hinkt gerade dieser Vergleich. Spiegel-Online schrieb im Vorfeld der Wahl: „Ob Romanow-Zaren oder Sowjetfürsten, Putins Vorgänger verließen den Kreml nur, wenn sie starben oder stürzten.“ Denn gerade Ivan IV. hat mehrmals versucht, abzudanken, zog aus Moskau aus und installierte einen Nachfolger. Diese Versuche wurden von Edward Keenan dahingehend gedeutet, das Ivan amtsmüde war. (Keenan, Edward: The Privy Domain of Ivan Vasil’evich, in: Rude & Barbarous Kingdom Revisited. Essays in Russian History and Culture in Honor of Robert O. Crummey, ed. by Chester L. Dunning, Russell E. Martin, Daniel Rowland, Bloomington, Indiana 2008, pp. 73-88)
Auch Peter I. hat die Regierung Russlands in anderen Händen gelassen und ist nach Holland gegangen, um Schiffbau zu studieren. Am Beginn des 19. Jahrhunderts verzichtete Carevič Konstantin sogar der Liebe wegen auf den Zarenthron – zugegebenermaßen vor seiner Krönung.
So bleibt die Forderung bestehen: Wenn schon mit Geschichte argumentiert wird, dann sollte man sich wenigstens über den Forschungsstand informieren und nicht mehr in heutige Verfahren hineingeheimsen, als man auch belegen kann.
Denn – und das gilt wohl für alle Osteuropahistoriker, die heutzutage Kommentare lesen – wir haben nicht jahrelang geforscht, nur damit die jahrhundertealten Vorurteile und Stereotypen zur russischen Geschichte immer aufs neue perpetuiert werden, egal wer gerade in Russland regiert.
Abgesehen davon, dass seit Peter die Zaren gar nicht mehr im Kreml residierten, sondern in Petersburg bzw. Carskoe selo.