Vor ein paar Wochen waren wir waren wir im Essener Domschatz und fanden dort auf dem goldenen Vortragekreuz der Äbtissin Theophanu die Email-Abbildung eines Senmurv.
Senmurv? Nie gehört. Auch die englische Form Simurgh oder Semorgh war uns unbekannt. Zeit für ein wenig Forschung.
Der Senmurv ist ein Mischwesen aus Vogel und Hund aus der persischen vorislamischen Mythologie, der im Laufe der Jahrhunderte zu einem wundertätigen Vogel mutiert ist. Der Senmurv steht für Weisheit, Kraft, Macht, Heilung und Fruchtbarkeit. Abbildungen des Senmurv als Mischwesen stammen meist aus der vor- und frühislamischen Zeit.
Teil 1: Wie sieht ein Senmurv aus?
Abbildungen von Senmurven (ob das der korrekte Plural ist, sei dahingestellt) variieren. Die Abbildungen, die tatsächlich aus dem persischen Kulturkreis der vor- und frühislamischen Zeit stammen, zeigen fast alle die folgenden Merkmale: Hundekopf, zwei (Vorder-) Beine mit Pfoten oder Krallen, zwei Flügel, langer, gefiederter Schwanz, oft ein Pfauenschwanz.
At the time of the Sassanian dynasty, the Simurgh was pictured as a creature with the head of a dog, forefeet of a lion, and body and wings of a dragon, as we see in the plate depicted above. However, as the centuries progressed and mercantile exchange between Persia and China became commonplace, the aesthetics of both these cultures heavily influenced each other. As we see in this Persian illustrated manuscript dating to the late fifteenth or early sixteenth century, the griffin-like image of the Simurgh had been replaced with that of the huang, a mythical Chinese bird known in English as the phoenix (see detailed view of phoenix). The image of this creature probably first arrived in the Persian in silk textile and brocades designs, and along with the Chinese dragon, was absorbed into the design vocabulary of Middle Eastern weavers, metal workers, ceramicists and painters (Quelle: University of Washington).
Die Wörter Senmurv und Simurgh werden zwar häufig synonym gebraucht, aber scheinen nicht nur unterschiedliche Stufen des Sprachwandels anzuzeigen, sondern auch unterschiedliche Konzeptionen der Figur. Während der Hund für viele Muslime als unrein galt, war er eine wesentliche Figur im präislamischen Zoroastrismus. So war es vermutlich nicht (nur) der chinesiche, sondern v.a. der islamische Einfluss, der den Senmurv den Hundekopf gekostet hat. Eine silberne Platte aus dem 10. Jahrhundert, heute im Preußischen Kulturbesitz zu Berlin, legt allerdings nahe, dass sich die persische Dynastie der Samaniden auch nach der Islamisierung ihres ikonografischen Erbes bewußt war – die Platte stellt nicht weniger als 33 hundsköpfige Senmurven in drei verschiedenen Typen dar.
Auf dem Essener Vortragekreuz aus dem 11. Jahrhundert wird der Senmurv dargestellt als ein Hund mit Flügeln und einem Pfauenschwanz. Diese Abbildung wurde stilisiert zum Logo der „Verflechtungen. Kunst aus vom Islam geprägten Regionen in Kirchenschätzen“, einem gemeinsamen Projekt des Diözesanmuseums Bamberg, des Diözesanmuseums Paderborn, des Dommuseums Hildesheim und des Essener Domschatzes.
Noch ein hübscher Senmurv in Stuck aus dem Britischen Museum, leider ohne zufriedenstellende Quellenangabe.
Häufig sieht man in Darstellungen des Senmurv auch eine dritte Gliedmaße, die unterhalb der Flügel nach unten zeigt. Die zentrale Abbildung auf der Silberplatte oben, die Email-Arbeit des Theophanu-Kreuzes, aber auch das Wikipedia-Artikelbild zeigen das sehr schön. Die Funktion ist allerdings nicht ganz klar – ein dritter Flügel, ein zweiter Schwanz?
Eine bunte Sammlung von Senmurven und Simurgen findet sich z.B. auf Pinterest. Offensichtlich hat der Senmurv es in die Moderne geschafft und dabei seinen Hundekopf zurückerhalten.
Google-Bildersuchen nach Senmurv und Simurgh ergeben ähnliche, aber nicht identische Ergebnisse. Beide Suchwörter zeigen sowohl Wesen mit Vogel- wie auch mit Hundekopf. „Simurgh“ verweist aber zum großen Teil auf zeitgenössische Bilder aus dem Fanstasy-Kontext. „Senmurv“-Bilder sind breiter gefächert, zeigen aber ebenfalls etliche moderne Darstellungen. Der Senmurv in der Mitte der unteren Reihe sieht z.B. aus wie ein geflügeltes Känguru.
Ein silberner Simurgh ist das Markenzeichen der iranischen Tourismusbehörde. Hier handelt es sich eindeutig um einen Vogel.
Dieses Tier fand ich beim Nachbarn auf der Wiese vor dem Pool und durfte es dankenswerterweise behalten.
Wer alles über den Simurgh in Persien und angrenzenden Ländern wissen will, findet es in der Enzyklopaedia Iranica. Meine Forschung geht weiter, u.a. zum Senmurv in der Literatur und in Russland.
(c) Stephan Küpper