Zugegebenermaßen entstanden die frühesten Shakespeare-Stücke mehr als 20 Jahre nach dem Tod Ivans IV.  im Jahre 1584.  Und man möchte meinen, dass das Erscheinen von Russen in einem der Stücke (Viel Lärm um nichts) die einzige Verbindung  zwischen Shakespeare und Ivan IV. ist, der den Russlandhandel Englands stark förderte.

Donald Ostrowski machte auf der diesjährigen ASEEES-Konferenz eine weitere Verbindung auf, nämlich die der Pseudoepigraphie. Seit 1857 wird die Autorschaft Shakespeares in der populärwissenschaftlichen Forschung in Frage gestellt. Ebenso wird die Autorschaft Ivans IV. und seines Briefpartners Andrej Kurbskij seit 1971 durch Edward Keenan in Frage gestellt.

In beiden Fällen argumentiert man zunächst gleich: solch elaborierte Werke sind von genialen Personen geschrieben. Von den genannten Autoren sind jedoch höchstens eigenhändige und teilweise ungelenke Unterschriften vorhanden, vielleicht konnten sie gar nicht selbst schreiben. Vielleicht konnten sie auch nicht selbst lesen, und vor allen Dingen fehlt ihnen die universelle Bildung, um die genannten Werke zu schreiben.

In beiden Fällen ist es außerdem so, dass die erhaltenen Manuskripte bzw. Druckausgaben (First Folios Shakespeares) nur auf die Zeit nach dem Tod der angeblichen Autoren datiert werden können.

Natürlich ist der Analogschluss nicht zulässig, dass, wenn man Shakespeare als den Autor von Shakespeares Werken annimmt, man auch Ivan IV. und Kurbskij als Autoren der ihnen zugeschriebenen Briefe annehmen kann. Und Ostrowski zieht diesen Schluss auch nicht wirklich.

Was mir bei diesem Thema wiederum fehlt ist die Antwort auf die Frage, warum im Falle Ivans IV. und Kurbskijs im 17. Jahrhundert – und ich halte Keenans Beweisführung anhand der Manuskriptdatierungen hier für ausnehmend schlüssig und glaubwürdig – die Zuschreibung einer Autorschaft erfolgt sein könnte? Warum wurden ausgerechnet diese beiden Personennamen als Pseudonyme verwendet und in welchen Diskurs schreiben sich die Werke ein, wenn sie als Pseudoepigraphien untersucht werden? Dies sind die Fragen, die mich umtreiben, seit ich Keenans Buch gelesen habe, und die bisher von der Forschung noch nicht untersucht wurden. Insofern ist Ostrowskis Vergleich für die osteuropäische historische Forschung wichtig und hoffentlich inspirierend.

Ob der Mann aus Stratford-upon-Avon tatsächlich der Autor der Shakespeare-Werke war, ist mir – wie übrigens auch der akademischen Shakespeare-Forschung – ziemlich gleichgültig. Was zählt ist der kulturelle Einfluss, den die Werke bis heute haben.

Literaturangabe:

Keenan, Edward L.: The Kurbskii-Groznyi Apocrypha: the 17th-Century Genesis of the „Correspondence“ Attributed to Prince A. M. Kurbskii and Tsar Ivan IV, Harvard 1971 (= Russian Research Center Studies; 66)