Ein gutes Buch erkennt man auch daran, dass es neue Perspektiven für die Forschung aufweist. Dies ist bei Robert Greenes Buch über den Reliquienkult im späten Zarenreich (1861-1925) der Fall.

Greene analysiert anhand von Pilger- und Wunderberichten die alltägliche Religiosität der Menschen und ihr Verhältnis zu den Reliquien der von ihnen verehrten Heiligen und kommt zu dem Schluss, dass das Verhältnis der Gläubigen zu den Heiligen ein sehr persönliches ist. Sie gehen eine enge Beziehung zum Heiligen ein, der bei den Kümmernissen des Alltags und den Schwierigkeiten in einer industrialisierten Welt helfen soll. Dementsprechend werden nicht nur Heilungswunder, sondern auch Arbeitsfindungswunder u.ä. berichtet.

Die Menschen Russlands brauchten auch physische Nähe zu den Heiligen, sie mussten ihre Reliquien berühren oder Berührungsreliquien haben, ja man konnte sich sogar, damit eine Heilung besser vonstatten gehen konnte, ein Kleidungsstück aus dem Grab ausleihen. Örtliche Gebundenheit der Heiligen spielte hier eine große Rolle, die Reliquien mussten schon vor Ort sein, damit Wunder stattfinden konnten.

Dieses persönliche Verhältnis der Menschen zu ihren Heiligen und deren Reliquien am Ende des 19.  Jahrhunderts wirft die Frage auf, wie es vorher war. Hier sind Mediävisten gefragt, weiter zu forschen, v.a. weil Greene an zwei Stellen (S. 35, S. 161) suggeriert, dass das Verhältnis der Russen zu ihren Reliquien ein mittelalterliches, bzw. frühneuzeitliches ähnlich wie in Westeuropa ist, dies jedoch nicht belegt. Die Untersuchung von mittelalterlichen Wundererzählungen könnte hier Aufschluss geben.

Was Greene komplett entgeht ist die Tatsache, dass Wunderberichte, die in den kirchlichen Zeitungen und Broschüren für Pilger ebenso wie in den Heiligenleben selbst namentlich abgedruckt wurden, für die Zeitgenossen eine Möglichkeit waren, ihre 15 Minuten Ruhm noch vor der Erfindung des Fernsehens zu erhalten. Auch dies ein Verdienst der Heiligen.

Literaturangabe:

Greene, Robert: Bodies Like Bright Stars. Saints and Relics in Orthodox Russia, DeKalb 2010