Ein sehr kluges Manöver ist Robert Greene in seinem unten erwähnten Buch auch dadurch gelungen, dass er die Materialien der Exhumierungen von Heiligen, die während der sowjetischen Atheismuskampagne 1919-1925 publiziert oder erstellt wurden, in seine Untersuchung des Verhältnisses zu den Heiligen mit einbezog.

Die sowjetischen Atheisten nahmen wie heutige Kirchenkritiker auch die Voraussetzungen für Heiligkeit allzu wörtlich  und suchten deshalb tatsächlich nicht-wissenschaftlich zu erklärende unverweste Körper in den Gräbern zu finden. Dies führte zu komischen Dialogen in Schauprozessen mit Kirchenoberen, denen als Reliquie wie schon seit Jahrtausenden auch ein Teil des Körpers des Heiligen und sogar ein Knochenfragment ausreicht.

Interessant ist jedoch, dass die Exhumierenden zum Erstaunen heutiger Leser wie auch zum häufigen Erstaunen der anwesenden sowjetischen Beamten und Kirchenoberen dort, wo ein angeblich kompletter heiliger Leichnam ausgestellt wurde, teilweise einen ganzen Kramladen fanden. Nicht nur, dass von den meisten Heiligen nur Knochen oder natürliche Mumien übrig waren. Die Überreste waren drapiert und ausgestopft, um sie körperähnlicher aussehen zu lassen, fehlende Körperteile durch bemalte Pappen ersetzt und ähnliches. Daneben fand man Münzen, Kissen, Stoffe, aber auch Kräuter und Weihrauch vor, um Wohlgeruch bei den Reliquien der Heiligen zu erzeugen.

Auch hier kommt die Frage hoch, warum und seit wann dies so war. Seit wann spielte in der russischen Orthodoxie die körperliche Unversehrtheit von Reliquien eine so große Rolle, dass man bei ihrer Ausstellung auf artifizielle Mittel zur Körperformung zurückgreifen musste? Wann wurde die Berührung und körperliche Nähe des Heiligen für die Gläubigen unverzichtbar?

Auch diese Fragen werden nach Robert Greenes Buch von der Forschung und damit auch von uns Mediävisten zu klären sein.