Dass Ivan IV. den Lutheranern skeptisch gegenüber stand, behauptet Erich Donnert in seiner Studie über den Livländischen Ordensstaat (S. 109).

In einer deutschen Flugschrift, 1561 in Nürnberg gedruckt, hatte ich bereits darüber gelesen. Die Kritik, die Ivan der Schreckliche angeblich an den Lutheranern in Livland übte, lässt sich im wesentlichen darauf verkürzen, dass sie vom katholischen Glauben abgefallen sind.

Diese Argumentation ist nicht die der russisch-orthodoxen Kirche jener Zeit. Hier wird nach dem Schisma von 1015 generell davon ausgegangen, dass die Katholiken vom rechten Glauben abgefallen sind. Ob die Lutheraner nun noch einmal von einem bereits abgefallenen Glauben abfallen, ist aus dieser Sicht egal, verdammt sind sie alle, Katholiken und Lutheraner.

Mehr Sinn macht die Anklage des Zaren in der Flugschrift, wenn man sie im Lichte der Glaubensstreitigkeiten des 16. Jahrhunderts sieht. Die Einheit der Christen wurde im deutschen Reich in dieser Zeit als hohes Gut angesehen. Sie sollte u.a. Voraussetzung dafür sein, dass man sich gegen Glaubensfeinde wie die in Ungarn eingefallenen Türken wehren konnte.

Als nun die Moskoviter in Litauen einfielen, konnte man die Livländer anklagen, selbst schuld an ihrer Misere zu sein. Waren sie doch vom Katholizismus zum Lutheranertum übergetreten. Diese Argumentation ist jedoch eine katholische Argumentation und keine russisch-orthodoxe.

Wie kommt Donnert nun zu seiner gegenteiligen Schlussfolgerung? Ein Blick in die Fußnoten  und in die Bibliographie von Donnerts Buch zeigt, dass Donnert sein Wisssen aus einer russischen Publikation von 1915 hat, in der Akten des Archivs in Kopenhagen publiziert sind. Hier findet sich unter Weglassen des Druckortes und der Überschrift, die beide auf eine deutsche Flugschrift verweisen würden, ein Abdruck unserer Flugschrift aus Nürnberg von 1561:

Newe Zeytung. So ein Erbarer Rathe der Stadt Reuel / von der Botschafft des Königs auß Dennemarck / mündlich gefragt und angehöret / wie alle sachen yetzt zwischen dem Unchristlichen und Blutdürstigen Tyrannen / dem Großfürsten in Moscaw / und den Tartern / etc. ein gestalt oder gelegenheit hab / Auch sonderlich wie die Tartern dem Blutdürstigen Groß Fürsten an dreyen orten so starck im Land ligen / und zum theil schier außgebrandt / sonderlich des Groß Fürsten verguldte Palläst / etc. Wie dann verners und mehres hienach volgend gehört und angezeiget wird. Gedruckt zu Nürnberg / durch Georg Kreydlein. M.D. LXI. Nürnberg 1561.

Die Quelle Donnerts ist: Gramota carja Ivana IV Vasil’eviča k imperatoru rimskomu Ferdinandu, iz Moskvy, ot 24-go Fevralja 1560, in: Kopengagenskie Akte otnosjaščiesja k russkoj istorii. Pervyj Vypusk, 1326-1569 gg., hrsg. v. Ju. N. Ščerbačev, Moskva 1915 (= Čtenija v Imperatorskom obščestve Istorii i Drevnostej Rossijskich pri moskovskom universitete; 225,1), S. 147 f., Nr. 74.

Es zeigt sich, dass Donnert von den Herausgebern der Quelle irregeleitet wurde und die Flugschrift für ein russisches Originaldokument aus dem königlichen Archiv in Kopenhagen gehalten hat, in dem es um die religiöse Anschauung Ivans IV. ging.

In Wirklichkeit handelt es sich um den Abdruck einer deutschen Flugschrift von 1561, in der der Religionskonflikt nach Livland verlegt wurde. Die Botschaft für die Leserinnen und Leser im Reich lautet: „Seht her, selbst der russische Zar hält Euren Übertritt zum lutheranischen Glauben für falsch und bestraft Euch, indem er in Euer Land einfällt. Kommt zurück in den Schoß der katholischen Kirche und alles wird gut.“

Literatur:

Donnert,Erich: Der livländische Ordensritterstaat und Rußland. Der Livländische Krieg und die baltische Frage in der europäischen Politik 1558-1583, Berlin 1963.