Auf den Geschichts-Seiten der dieswöchigen Print-ZEIT (online ist der Artikel noch nicht erschienen, deshalb wird hier nicht verlinkt) gibt es unter den Zeitläuften einen Artikel zur polnischen Besetzung Moskaus während der Zeit der Wirren (Smuta). Geschrieben wurde der Artikel von einem Spezialisten für die Geschichte Polens in der frühen Neuzeit.
Was die Forschungen zur osteuropäischen Geschichte angeht, so zeigt sich, dass die Diversifizierung des Faches weit fortgeschritten ist. Denn die Erzählung über die polnische Besatzung liest sich für die in diesem Teilbereich der osteuropäischen Geschichte nur halbgebildete einleuchtend erklärt. Nur was die russische frühneuzeitliche Geschichte angeht, so ist der Autor des Artikels nicht auf dem neuesten Stand – und damit auch noch in guter Gesellschaft nicht nur von Osteuropahistorikern.
Ich möchte nicht auf alle Ungenauigkeiten bei der Schilderung russischer Geschichte im Artikel eingehen, sondern aus gegebenem Anlass nur auf die Opričnina Ivans IV. (des „Schrecklichen“). Während die heutige Forschung noch nicht erklären kann, was die Opričnina war, kann ich zumindest einmal darlegen, was die Opričnina nicht war:
– Sie war kein Terrorregime.
– Sie war nicht dazu da, Bojarengeschlechter auszurotten.
– Sie war kein Mittel im Kampf Ivans IV. gegen den Feudalismus – den gab es nämlich in Russland gar nicht.
– Sie war kein Mittel im Kampf Ivans IV. gegen bestimmte Bojarengeschlechter oder Einzelpersonen.
– Sie war kein Ausdruck von Ivans IV. Paranoia – eine solche ist nämlich nie bei ihm diagnostiziert worden.
– In der Aleksandrovskaja sloboda, wo Ivan während der Opričnina-Zeit hauptsächlich lebte, wurden keine wilden Orgien gefeiert und auch, soweit das heute beurteilt werden kann, keine Folter-Orgien abgehalten.
– Die Opričniki waren keine Terrortruppe.
– Die Opričniki waren keine Mönchsgruppe.
– Die Opričniki trugen keine Mönchskutten und wahrscheinlich – hier zweifle ich wieder an Chales Halperins Schlüssen – trugen sie keine Hundeköpfe an ihren Sätteln und hatten keine Besen als Zeichen.
– Die Erzählungen von den Terrorzügen der Opričniki sind im Allgemeinen stark übertrieben und werden von zeitgenössischen ausländischen Gesandten in ihren Tagebüchern nur als erhöhtes Militäraufkommen (z.B. in Novgorod) wahrgenommen. (Vgl. Robert Crummey: Old Wine in New Bottles. Ivan IV and Novgorod, in: Russian History 14 ( 1987), S. 61-76)
– Die Opričniki waren keine Geheimpolizei, auch eine solche gab es im 16. Jahrhundert in Russland nicht.
Was war die Opričnina?
– Isabel de Madariaga meint, dass Ivan sie einrichtete, um sein Konzept der Autokratie gegen die Aristokratie durchzusetzen. Dies könnte sein.
– Edward Keenan meint, dass sie von Ivan eingeführt wurde, als er amtsmüde war und sich wie vorher seinen Söhnen, die die Erbfolge sicherten, einen Teil des Landes beiseite (russ. oprič) einrichtete.
– Für jede Quelle und für jeden Historiker war und ist die Opričnina etwas anderes. Ich tendiere dazu, zunächst die zeitgenössischen russischen Quellen zu konsultieren und dann weiter zu sehen.
Literatur:
Isabel De Madariaga: Ivan the Terrible: First Tsar of Russia, London 2005
Die meiner Meinung nach immer noch beste Biographie Ivans haben Andrej Pavlov und Maureen Perrie geschrieben. Sie führen die Leserinnen und Leser nicht nur in die Geschichte Ivans, sondern auch in die Probleme der Geschichtsschreibung zu dieser Epoche ein.
Andrej Pavlov and Maureen Perrie: Ivan the Terrible, London 2003 (= Profiles in Power)
Edward L. Keenan: The Privy Domain of Ivan Vasil’evich, in: Rude & barbarous kingdom revisited. Essays in Russian history and culture in honor of Robert O. Crummey, edited by Chester S.L. Dunning, Russell E. Martin, and Daniel Rowland, Bloomington, IN 2008, S. 73-88
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