Frei nach Bertolt Brecht kann man manche Phänomene in russischen wissenschaftlichen Publikationen beschreiben. Hier sei der berühmte „Herr K.“ ein Beispiel dafür, wie heutzutage wissenschaftliche Aufsätze zur Geschichte Russlands geschrieben werden, ohne dass die Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten werden.

Herr K. möchte auf eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Ivan der Schreckliche und seine Zeit“. Hierzu muss er einen Vortrag halten und einen Aufsatz verfassen. Zunächst denkt er sich ein Thema aus. Frei nach der gerade herrschenden Ideologie soll es etwas mit dem Zarentum und seiner Beziehung zur Kirche zu tun haben. Was liegt also näher, als die Zarenkrönung Ivans des Schrecklichen zu untersuchen?

Eine These hat Herr K. denn auch schnell formuliert: die Zarenkrönung Ivans war das Beste, was Russland geschehen konnte. Es war aber nur in Zusammenarbeit und mit der großen Unterstützung der Kirche möglich. Die Kirche setzte den Herrscher ein.

Nun macht sich Herr K. an die Materialsammlung. Das Protokoll der Zarenkrönung ist in Form einer niedergeschriebenen Liturgie in einer Publikation des 19. Jahrhunderts in heute gut lesbarer Form vorhanden, Manuskripte müssen also nicht konsultiert werden. Der Einfachheit halber unterschlägt Herr K. auch, dass schon früher eine Krönung in dieser Form stattgefunden hat. Ivan III. ließ seinen Enkel zum Mitregenten krönen. Dies passt jedoch nicht in die aufgestellte These.

Nun nimmt sich Herr K. wahllos Publikationen zur russischen Geschichte der letzten 150 Jahre vor und stellt eine Zitatensammlung zusammen, die er dann in seinem Vortrag und im Aufsatz aneinanderreihen kann. Es versteht sich von selbst, dass jedes Zitat die These unterstützt und besagt, dass die Zarenkrönung durch die Kirche das beste war, das Russland historisch gesehen passieren konnte.

Eine Einordnung der Aussagen der Historiker in ihren historischen Kontext oder gar einen Nachvollzug der Argumente, die die Historiker – Herr K. verwendet nur Bücher männlicher Autoren – zu ihren Aussagen bewogen haben könnten, gibt er nicht. Das würde die Wissenschaftlichkeit zu weit führen.

Da Herr K. außerdem Vorsteher eines der größten russischen Klöster ist, zeigt er noch einmal auf, wo der Vorsteher dieses Klosters in der Hierarchie der Kirche verortet ist. Dies ist natürlich ziemlich weit oben; impliziert Herr K. etwa, dass er auch Krönungen vornehmen könnte? Die Kenntnis der Liturgie hätte er jetzt zumindest.

Am Ende kommt Herr K. zu dem Schluss, dass die Kirche die Herrscher in Russland immer schon eingesetzt hat (und dies natürlich auch heute tun könnte). Eine Argumentation, die durch ihre Redundanz nicht von der Hand zu weisen ist.

Es zeigt sich hier, wie weit das wissenschaftliche System in Russland sich unter eine implizite Ideologie unterordnen muss, die von nicht wissenschaftlich vorgehenden Personen geprägt wird. Hier geht alles verloren, gute wissenschaftliche Arbeit und eine unvoreingenommene Fragestellung.